Sonntag, 12. Mai 2013

Jonathan Strange & Mr Norrell von Susanna Clarke



Auf "Jonathan Strange & Mr Norrell" - den Debutroman von Susanna Clarke - wurde ich aufmerksam, weil es als eine Kombination von Fantasy und Jane Austen angepriesen wurde. Sehr wichtige Schlagworte für mich... Könnte ich die Motorik meiner Augebrauen voneinander trennen, hätte ich interessiert und skeptisch EINE Augenbraue elegant angehoben und hätte vielsagend gemurmelt, "Du, lieber über 900 Seiten Wälzer, hast mein Interesse geweckt. Ich mag ein Buch mit Rundungen". So aber habe ich aus Unfähigkeit beide Augenbrauen verkrampft hochgezogen und mit einem Ausdruck völliger Überraschung (als wäre ich meiner Sinne nicht ganz Herr) das Buch flux auf den verflixten Kindle geladen. In diesem Fall nicht der schlaueste aller Einfälle - dicke Wälzer mit Fußnoten machen sich irgendwie nicht so gut als elektronisches Buch. Es ist frustrierend so gar kein physisches Erfolgserlebnis nach dieser Seitenanzahl zu haben, das mit den Fußnoten kann man eigentlich vergessen und die Illustrationen sind auf Papier wahrscheinlich auch schöner. Und es ist ein gutes Buch. Ein Buch, das man sich durchaus auch in "echt" kaufen kann.

 





Die Geschichte spielt in Europa (Hauptschauplatz England) im 19. Jahrhundert zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Richtige Magie ist schon lange nicht mehr praktiziert worden und man beschränkt sich auf Theorien über Zauberei mit allen möglichen philosphischen Nebengedanken. Nur die wichtige Grundfrage "Warum gibt es keine praktische Anwendung von Magie mehr in England?" wird tunlichst vermieden. Außerdem sieht es so aus, als wäre die Fragestellung mittlerweile auch so nicht mehr richtig.
Denn ein gewisser Mr Norrell hat es im Alleingang geschafft, Magie wieder aufleben zu lassen. Stolz und auch etwas verbissen über diese Errungenschaft, möchte er dieses Wissen mit niemanden teilen (fast alle Bücher über Magie befinden sich in seiner Bibliothek), aber auch sein Können in den Dienst des Allgemeinwohls stellen. Nur nimmt ihn am Anfang niemand ernst und er sieht sich gezwungen mit Hilfe einer Elfe (fairy) ein spektakuläres Zauberkunststück zu vollbringen, mit dem er manchen dunklen Stein ins Rollen bringt. Kurzfristig erreicht er aber sein Ziel, als Magier anerkannt und gesucht zu sein.
Jonathan Strange wiederum ist ein junger Mann, der eigentlich so gar keine wirklichen Ziele hat und eher durch Zufall zur Magie kommt. Überraschenderweise nimmt Mr Norrell Jonathan als seinen einzigen Schüler an und die beiden verbindet im Laufe der Geschichte so etwas wie eine unzertrennliche Hass-Liebe.
Während die sie gemeinsam für England Magie betreiben (die zwar funktioniert, aber eigentlich weiß niemand genau WIE sie funktioniert), brauen sich über und direkt neben ihnen dunkle Wolken zusammen, die beide nicht bemerken. Eigenartige Begebenheiten und eine dunkle Prophezeiung werden von den ach so begabten Herren einfach ignoriert. Erst als alles zu spät scheint, werden die wahren Begebenheiten von manchen Ereignissen entdeckt und es wird klar, dass Magie einiges mehr ist, als bisher vermutet.

Zuerst sei gesagt: Ja, das Buch ist lang und streckenweise etwas arg in ins Detail und Ausführliche gehend. Aber im Großen und Ganzen hat man hier ein gut recherchiertes Buch (die magische Geschichte ist in unsere reale Geschichte des 19. Jahrhunderts eingeflochten), mit entwickelten Charakteren und einer durchdachten Verflechtung mehrerer Erzählstränge zu einem Ganzen. All diese Dinge brauchen eben ihren Platz. Und auch die öfters bemängelnden Fußnoten sind im Grunde ein sehr praktische Methode, der geneigten Leserin Informationen zuzuspielen, ohne den Erzählfluß zu stören und mit konstruierten Dialogen (die so einfach nicht stattfinden würden) Erklärungen für gewisse Umstände zu liefern. Kurz gesagt, man sollte sich auf das Buch einlassen, so wie es ist: ein Buch mit vielen Seiten. Und dann kann es wirklich Freude machen:

Die Charaktere stehen auf eigenen Füssen und auch wenn man nicht alle Details der Lebensgeschichte jeder Person weiß, so sind Handlungen und Motivationen durchaus nachvollziehbar, obwohl hier keine zweidimensionale Schwarz-Weiß-Malerei betrieben wird. Weder Strange noch Mr Norrell sind gänzlich gut oder böse, sondern sehr menschlich mit ihren spezifischen Eigenschaften. Magie ist in diesem Roman nicht einfach der Motor, der die Geschichte antreibt und bei unglaublichen Verwicklungen zur einfachen Problemlösung herangezogen wird. Es werden hier nicht die klassischen Zutaten des Fantasygenres zum ewig gleichen Geschichtenbrei verbraten, sondern hier entsteht etwas eigenes; eine originelle Idee von Zauberei mit Quellen aus Mythen und Volkssagen. Magie ist hier eine "universelle Sprache", die nicht aus unserer Welt stammt.

Was mich als Jane Austen und Charles Dickens Fan zusätzlich begeistert hat, ist, dass Susanna Clarke in ihren Beschreibungen und Dialogen den "richtigen Ton" trifft und mit genau der richtigen Prise an (zur Farce) erstarrten Höflichkeitsroutine und  trockenen Humor (der mich speziell an Jane Austen erinnert hat) arbeitet.


"These ladies and gentlemen, visitors to the city of Venice, were excessively pleased with the Campo Santa Maria Formosa. They thought the facades of the houses very magnificent- they could not praise them highly enough. But the sad decay which buildings, bridges and church all displayed seemed to charm them even more. They were Englishmen and, to them, the decline of other nations was the most natural thing in the world. They belonged to a race so blessed with so sensitive an appreciation of its own talents (and so doubtful an opinion of any body else's) that they would not have been at all surprised to learn that the Venetians themselves had been entirely ignorant of the merits of their own city- until Englishmen had come to tell them it was delightful."



Eine Empfehlung an alle Fantasy Freunde, die sich gerne einmal zwischendurch die Zeit für ein Buch der etwas anderen Art nehmen - nur ein dickes Buch (keine 278 Bände ohne ersichtliches Ende), ohne Drachen und blutige Kriegszenen*, dafür mit einer gut geschriebenen, interessanten Geschichte über menschliche Irrungen und Zauberei. Viel Freude damit.


Arthur Rackham, 1920
 


Auf Deutsch ist das Buch "Jonathan Strange & Mr. Norrell" 2005 beim Berliner Taschenbuch Verlag erschienen.

*Nicht falsch verstehen - ich liebe klassische Fantasy mit Drachen, Magie und dem restlichen Brimborium. Aber man kann nicht jeden Tag Schnitzel essen. Obwohl...

2 Kommentare:

  1. Danke für deine interessante Rezi. Ich weiß noch, dass das Buch bei seinem Erscheinen in schwarzem oder weißem Cover zu haben war und ich mich für die schwarze Variante entschieden hatte. Aber irgendwie habe ich es noch nicht gelesen, es wartet noch und das nun schon seit 7 Jahren (hüstel). Dass es aber bei den ganzen Fußnoten als eBook nicht taugt leuchtet ein.

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  2. ich finde ja diese ebook sache durchaus praktisch, aber dicke bücher lese ich so irgendwie nicht gerne (obwohl sie ja da gerade praktisch, weil platzsparend). andererseits hätte ich dieses buch gerade wahrschienlich gar nicht angefangen, wenn mir bewußter gewesen wäre, wieviel seiten es hat. irgendwann mittendrin wurde ich ziemlich ungeduldig, bis mir mal wieder eingefallen ist, dass das hier ja kein wettbewerb im schnell lesen ist... und dann sind das buch und ich freunde geworde :)

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