Samstag, 15. Dezember 2012

Der Friedhof der vergessenen Bücher






Die Romane "Im Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels" handeln beide von scheiternden Schriftstellern, der Macht von Büchern und Barcelona. In beiden Werken besuchen die Hauptprotagonisten den Friedhof der vergessenen Bücher, der mit seinem kurzen Auftritt eine Art Dreh- und Angelpunkt für die Geschichten bietet. Anscheinend plant der Autor noch zwei weitere Bücher mit diesen Zutaten zu schreiben. Schöne Idee. Momentan bin ich aber eher nicht in der Stimmung noch ein Buch von Carlos Ruiz Zafón zu lesen. Hauptsächlich, weil mir "Das Spiel des Engels" noch etwas unverdaulich im Magen liegt.

Zuerst hatte ich "Im Schatten des Windes" gelesen und war angenehm überrascht. Spannung, Liebesgeschichte, Verbrechen, interessante Charaktere... alles vorhanden. Es hat jetzt nicht gerade mein Leben verändert, aber ich könnte es ohne Gewissensbisse jedem empfehlen, der ein kurzweiliges Lesevergnügen sucht. Und das ist durchaus als großes Lob gemeint.


"Es ist eine Geschichte von Liebe, Haß und den Träumen, die im Schatten des Windes hausen."


In dem Roman wird Daniel von seinem Vater zum Friedhof der vergessenen Bücher gebracht, wo er sich ein Buch aussuchen darf: Daniel wählt "Im Schatten des Windes" von Juliàn Carax. Daniel ist begeistert von dem Buch und beginnt Nachforschungen über den Autor anzustellen und wird dabei fast besessen von Juliàn.  Zusätzlich ist da noch die bedrohliche entstellte Figur, die offenbar nichts anderes im Sinn hat, als den Namen Juliàn Carax von der Erdoberfläche zu löschen, während Daniels eigenes Leben erstaunliche Parallelen zu Julians entwickelt. Letztendlich gelingt es ihm aber, sich mit Mut und Liebe dem angeblich unvermeidlichen Schicksal entgegenzustellen. Also alles in allem eine spannende Melange mit dem hübschen Kunstgriff Vergangenes mit dem Gegenwärtigen gelungen zu verflechten.




"Das Spiel des Engels" ist bei weitem komplizierter. Oder besser ausgedrückt, ist weitaus schwieriger zusammen zu fassen, obwohl er in der Struktur wahnsinnig ähnlich ist.
David Martin ist ein aufstrebender junger Schriftsteller. Während er an seinem Opus magnum arbeitet, hilft er gleichzeitig seiner großen Liebe Christine den Roman seines Freundes Pedro Vidal ohne dessen Wissen zu verbessern beziehungsweise komplett umzuschreiben. Vidals Buch wird ein voller Erfolg während Davids Werk ein Desaster ist; Vidal heiratet Christine, David stellt fest, dass er an einem unheilbaren Tumor leidet.
Ungefähr zeitgleich nachdem David vom Friedhof der vergessenen Bücher ein Werk namens "Lux aeterna" von einem gewissen D.M. mitnimmt, kontaktiert ihn der geheimnisvolle Verleger Andreas Corelli mit einem unwiderstehlichem Angebot. David soll für ihn eine "neue Religion" schreiben. Es ist der klassische Pakt mit dem Teufel den David hier eingeht.
Ab da wird dann die Geschichte auch immer schwerer nachzuvollziehen, Fantasie und Realität verschwimmen. David erkennt, dass der Autor von "Lux aeterna" ein ähnliches Angebot gehabt haben muss und durch einen grausamen (Selbst)mord ums Leben kam. Alle Menschen die mit David über das Thema reden, fallen einer Mordserie zum Opfer. David wird von der Polizei verdächtigt. Christina kehrt zu ihm zurück, nur um wieder zu verschwinden und wieder völlig geistesgestört aufzutauchen. Und am Schluss bewahrheitet sich eine alte Fotografie...

Die Idee mehrere Bücher mit dem Bezugspunkt des Friedhofs der vergessenen Bücher zu schreiben ist spannend, aber diese beiden Romane sind für mich in Aufbau und Beziehungsgeflecht zu ähnlich.
Es wirkt, als würden zwei mal dieselben Zutaten wiedergekaut, nur beim zweiten Mal ist das ganze zu einem unübersichtlichem Brei geworden. Man verzeih mir die schwache Metapher.
Positiv ausgedrückt, soll "Das Spiel des Engels" mehr zum Nachdenken anregen und nicht so leicht zugänglich sein... An sich finde ich das eine gute Sache. Es muss nicht immer alles auf einem Silbertablett in mundgerechten Stückchen serviert werden. Ich konnte mich aber dem Eindruck nicht entziehen, als wäre die Geschichte dem Autor über den Kopf gewachsen und er hat sie nicht konsequent zu Ende gedacht. Es ist ein Roman, der in den ersten hundert Seiten vielversprechend anfängt und dann in alle Richtungen zerflattert und zerfranst. 
Dabei sind dann auch sämtliche Charaktere, bis auf David, seltsam zweidimensional geblieben. Bei "Der Schatten des Windes" gibt es Fermín Romero de Torres, Daniels Freund und Komplize, mit dem so viel Leben und Humor in die Geschichte kommt. In "Spiel des Engels" haben wir Isabella, die Assistentin von David, die hier wohl die Rolle von Fermín übernehmen soll. Aber nur weil Wortwechsel als "sarkastisch"und "ironisch" beschrieben werden, sind sie es noch lange nicht. Auch die Liebesgeschichte zu Christine hat mich beim Lesen nicht gerade berührt, sondern eigentlich mehr verärgert. Ihre Handlungen sind schwierig nachzuvollziehen und es entzieht sich völlig meinem Verständnis, warum sie dann in der zweiten Hälfte des Buches so ein einsames, verwundetes Reh ist, deren Auge offensichtlich die Farbe "gebrochen" haben.

"Christine öffnete die Augen wieder und schaute mich mit diesem verwundeten, gebrochenen Blick an, der mich selbst in die Hölle verfolgt hätte."*

Vielleicht liegen die Schwächen in den Dialogen auch an der Übersetzung. Vielleicht klingen Sätze wie "Die Geschichte ist die Müllhalde der Biologie."** auf Spanisch poetisch und tiefsinnig. Aber nichts, wirklich nichts, versöhnt mich mit diesem Schluss. Das Ende von "Spiel des Engels" hat mich direkt wütend gemacht, weil ich das Gefühl hatte, der Autor nimmt seinen Leser nicht ernst. Ja warum nicht. Drücken wir der nicht mehr alternden Hauptperson seine Geliebte als Kind in die Hand. Oh nein. Ich habe das Ende verraten. Aber keine Angst. Das Ende verrät dafür nichts.



*Das Spiel des Engels, S. 494.
**Das Spiel des Engels, S. 275.


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